Wehrdienstmodernisierungsgesetz
Interesse an Kriegsdienstverweigerung steigt

Der „Neue Wehrdienst“ kommt. Künftig werden alle Männer, ab dem Jahrgang 2008, gemustert. Der Wehrdienst bleibt aber zunächst freiwillig. Doch schon jetzt steigt die Zahl der Kriegsdienstverweigerer.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger |
    Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind im Goehtepark in Burg angetreten.
    Am 12. November einigten sich die Spitzen von Union und SPD auf ein neues Wehrdienst-Modell, das zugleich auf Pflicht und Freiwilligkeit setzt. (picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Der sogenannte „Neue Wehrdienst“ hat in den vergangenen Wochen eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Nun haben sich die Fraktionsspitzen von Union und SPD auf ein neues Wehrdienst-Modell geeinigt. Ziel ist es, die Bundeswehr bis 2035 auf 260.000 Zeit- und Berufssoldatinnen und -soldaten aufzustocken. Zusätzlich werden 200.000 Reservistinnen und Reservisten gebraucht. Von diesen Zahlen aber ist die Bundeswehr aktuell weit entfernt.
    Deshalb werden ab 2026 alle 18-Jährigen einen Fragebogen erhalten, in dem sie ihre Motivation und Eignung für die Truppe darlegen sollen. Frauen bekommen den Bogen ebenfalls zugeschickt, müssen die Fragen aber nicht beantworten.
    Alle jungen Männer ab dem Geburtsjahrgang 2008 müssen bis Sommer 2027 zur Musterung gehen. Melden sich nicht genug Freiwillige für den Dienst bei der Bundeswehr, könnte dann nach Zustimmung des Bundestags eine Bedarfswehrpflicht eingeführt werden. Dann könnte ein Losverfahren greifen. Zunächst aber setzt die Regierung auf eine verpflichtende Musterung und eine freiwillige, persönliche Entscheidung für den Wehrdienst.
    Doch trotz aller Debatten um einen neuen Wehrdienst: Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung bleibt bestehen. Das garantiert das Grundgesetz.

    Inhalt

    Wie ist die Zustimmung für Wehrdienst und Wehrpflicht?

    Wie viele Männer verweigern werden, lässt sich aktuell schwer einschätzen. Und wie hoch die Bereitschaft in der Bevölkerung ist, sich freiwillig zu einem neuen Grundwehrdienst zu melden, ist bislang kaum erforscht, sagt Timo Graf vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw).
    Die jährliche repräsentative Bevölkerungsumfrage des ZMSBw zeige allerdings, dass seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine eine absolute Mehrheit die Wiedereinführung des Wehrdienstes – in welcher Form auch immer – befürwortet. In diesem Jahr seien es sogar sechs Prozent mehr als zuvor.
    "Wir haben hier 53 Prozent Zustimmung. Wir haben 21 Prozent der Befragten, die noch unentschlossen sind, also die Antwortoption teils/teils gewählt haben und etwas weniger als ein Viertel, die sich explizit dagegen aussprechen", so Politikwissenschaftler Timo Graf.
    Doch gerade jüngere Menschen zwischen 16 bis 29 Jahren – die also betroffen wären – sprechen sich nur zu 42 Prozent für einen neuen Wehrdienst aus. Ein Viertel bis ein Drittel sind dagegen – die Frauen etwas häufiger als die Männer. Knapp die Hälfte ist der Meinung, dass das neue Gesetz ihre Freiheitsrechte einschränken würde.
    Quentin Gärtner, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz fordert, besonders die Menschen in die Diskussion einzubeziehen, die vom neuen Wehrdienstgesetz betroffen sind: Man müsse „junge Menschen anhören, wenn man etwas von ihnen abverlangt.“

    Wer kann den Kriegsdienst verweigern?

    Grundsätzlich können alle den Kriegsdienst verweigern. Denn: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." So steht es im Grundgesetz, Artikel 4, Absatz 3. Berufssoldatinnen und -soldaten können den Kriegsdienst verweigern, ohne aus der Bundeswehr ausscheiden zu müssen. Reservisten können ebenso verweigern wie Ungediente. Letztere sind Menschen, die nie einen Wehrdienst geleistet haben.
    Tatsächlich ist das Interesse an einer Verweigerung seit dem russischen Angriff auf die Ukraine stark gestiegen. Laut dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA), das über Anträge auf Verweigerung entscheidet, haben in den 15 Monaten bis September 2025 rund 200 aktive Soldatinnen und Soldaten einen Antrag auf Verweigerung gestellt. Zwischen Januar und August 2025 verweigerten 926 Reservisten und 1.030 Ungediente den Kriegsdienst. Insgesamt haben 2023 rund 1.100 Menschen die Verweigerung beantragt, im Jahr danach waren es knapp 2.250 und im laufenden Jahr bis 31. August rund 2.100.

    Kriegsdienst verweigern – wie geht das?

    Wer verweigern möchte, schickt den Antrag an das zuständige Karrierecenter der Bundeswehr. Darin muss er sich auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung im Sinne des Grundgesetzes berufen, einen vollständigen tabellarischen Lebenslauf und eine ausführliche persönliche Begründung für die Gewissensentscheidung beifügen.
    Wird bei der anschließenden verpflichtenden Musterung die gesundheitliche Eignung festgestellt – stehen also die Wehrdiensttauglichkeit und Verfügbarkeit rechtskräftig fest – leitet das Karrierecenter den Antrag an das BAFzA weiter, das darüber entscheidet.  
    Ratsuchende können sich an die „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ wenden. Auf ihrer Internetseite finden Zivilisten, Reservisten und Soldaten die für sie passenden Informationen. Außerdem berät auch die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung. Sie will ab 2026 verstärkt Online-Gespräche anbieten. 

    Welche Möglichkeiten für einen Ersatzdienst gibt es?

    Mit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 fiel auch der Zivildienst weg. Damals protestierten die Wohlfahrtsverbände und äußerten die Sorge, der Pflegebereich sei nun personell unterbesetzt. Die „Zivis“ haben viele Tätigkeiten im Pflege- und Betreuungsbereich übernommen, in Krankenhäusern und Pflegeheimen gearbeitet.
    An die Stelle des Zivildienstes trat 2011 der Bundesfreiwilligendienst. Ein Bundesfreiwilligendienst kann zwischen sechs und 18 Monaten in den Bereichen Soziales, Umwelt, Kultur, Sport, Integration oder im Zivil- und Katastrophenschutz geleistet werden. Er soll nun im Zuge der Wehrdienstreform um weitere 15.000 Stellen aufgestockt werden. Im Jahr 2024 waren rund 34.000 Menschen als „Bufdi“ im Einsatz.
    Aktuell ist in den Debatten in Politik und Öffentlichkeit von Ersatzdiensten noch kaum die Rede. Das müsse sich dringend ändern, fordert Ursula Schoen. Die Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz setzt sich dafür ein, dass das freiwillige Engagement junger Menschen allgemein gestärkt wird – pädagogisch, personell und finanziell. Die Gesellschaft profitiere von Freiwilligendiensten, sozialem Jahr oder Ersatzdiensten – dafür müsse das Bewusstsein wachsen und das müsse auch breiter diskutiert werden, so Schoen.